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Dath, Dirac, Besprechung, Teil II der, 3 september 2006 om 21:08:00 CEST
Zur Erinnerung, Teil I: Intelli-Friends, the one with the physicist. Teil II: `Mit Dirac (Suhrkamp, 2006) zeigt sich Dietmar Dath als Murakami der deutschen Kleinstadt.' Nee. Mach ich's mir mal nicht so einfach. Dirac ist eine Biographie des Physikers Paul Dirac, bzw. ist ein Bericht über das Schreiben einer solchen, bzw. ist die Geschichte des Autoren dieser Biographie und seiner lustigen Clique (hence: Friends), inklusive Jugend in der Provinz, inklusiver rätselhafter Mädchen (hence: Murakami) und Irrenärzten (Hallo Goetz?), bzw. ist ein Roman darüber, wie man Leben sollte und wie man das Leben anschauen sollte. David Dalek, die Hauptfigur des Buches (die sich große Teile ihrer Biographie mit Dietmar Dath teilt), will ein Buch über Dirac schreiben, gerät ins Stocken, und muss erst lernen, dass er über sein Leben und das seiner Freunde klarer werden muss, bevor er über das eines anderen etwas sagen kann. Im Laufe dieses Klärung gerät er in einen SF-Plot, der die, kapitelweise eingestreute, Dirac-Biographie mit dem Gegenwartsstrang und den Mitte der Neunzehnhundertachtziger Jahre (muss so) spielenden Teilen verbindet. (Dem SF-Kenner / nicht unter Steinen lebenden wird der Name der Figur schon andeuten, wohin der SF-Teil geht, und welches Verhältnis DD zu DD hat.) Das Buch wird ganz gut erklärt geliefert, mit Nachwort und website, und die Idee -- wie geht's weiter? -- ist durchaus sauber durchgeführt. Es ist ein Ideenroman, dessen Sprache im Dienste des Diskurses steht. Das tut sie weitgehend unauffällig, vielleicht etwas zu glatt. Wenn Bilder mal auffallen, dann dadurch, dass sie irgendwie zu bekannt sind, aus eben diesem Pop-Universum aus Fernsehserien und SF-Romanen. Interessanterweise finden sich die wenigen knarzenden Stellen in den historischen Teilen, wo Dirac und Kollegen Worte in Kopf und Mund gelegt werden, die (zu) gut zur Story passen; die postmodernen "Redet hier der Autor oder der Erzähler oder wer"-Spielchen laufen erstaunlich OK. Aber wie kommt man nun aus der Jugend in den 80ern in die Gegenwart, und was werden die Freunde erleben auf ihrer Reise? Na, lies das mal selbst, lieber Leser, es lohnt sich. (Apropos Jugend, etwas spooky, war das wirklich überall gleich? Viele der Anekdoten sogar könnten auch von mir erzählt werden, Schlüssel schmeissende verrückte Lehrer, die kommunistischen Lesekreise, die Skandälchen mit der Schülerzeitung. Interessant aber auch die Unterschiede: ein paar Jahre nur sind die Protagonisten älter als ich, aber ihre musikalische Ausrichtung geht eindeutig in die Vergangenheit (motörhead, Bowie, Queen), während meine brav Indie-Musik war. Da unterschied sich das echte Land wohl doch von der Vorstadt.) Postscriptum: ``Man kann nicht leben wie ein Tier, wenn man ein Mensch ist. Das haben wir mal gewußt, das haben wir einander auch dauernd neu beigebracht, jeden Tag. Daß es um was gehen muß, um mehr als das stille Glück im Winkel und bestenfalls etwas philosophische Inneneinrichtung.'' Wo kommt das eigentlich her, diese Diskussion um den `Rückzug ins Bürgerliche'? Ist das wirklich eine neue Diskussion, oder nur eine, die jede Generation für sich führen muss, und jetzt ist eben meine dran? Blumfeld vs. Goldene Zitronen, etc etc. Meine philosophische Inneneinrichtung jedenfalls, anläßlich der Lektüre inventarisiert: Wir finden größenteils über die Jahre improvisierte Stücke, das Ganze geschehen mehr als gemacht. 80er-Jahre Minimalismus in gemütlich, noch ein paar übriggebliebene Stücke aus dem Möbelhaus Wittgenstein, zum Thema passend aber eher das Telefonbänkchen "Habermas" und die Teile aus der Hannah Arendt / Isaiah Berlin consumer edition -- und das, obwohl das Arbeitszimmer streng empiristisch / evidentialistisch eingerichtet ist! Von der Seite durch Shouji gefiltertes milchiges Licht. Die Einrichtung sagt: es muß eben um nichts gehen, das muß man aushalten. Bitte Schuhe ausziehen und möglichst leise sein. Würde bei `Daleks schöner Wohnen' wohl nicht so gut ankommen, als Kapitulation gewertet werden, würde ich aber durchaus verteidigen können, denke ich. Und wollen, was für das Buch spricht. ... Comment
hcs, 06-09-06 16:09
Dieser Erinnerungsbezug auf die eigene Jugend --
80er Jahre, verrückte Lehrer, kommunistische Lesezirkel, Vorlieben in Sachen Musik, Literatur, Alltags- und Freizeitgestaltung --, unterscheidet sich der von so einem, wie ihn z.B. Florian Iljes nimmt, in fundamentaler Hinsicht, oder muss ich mich mit einem (wahrscheinlich nicht weitgehenden) Milieu- und Geschmackswechsel begnügen? Es geht natürlich anders, allerdings müssen dafür gewisse Voraussetzungen erfüllt sein: [ http://www.hammerhead.de/pages3/tourbericht.htm ] ... Link
der, 06-09-06 19:01
Boah, sind Hammerhead echt so groß gewesen / geworden? Illies' Buch kenne ich nicht, kann ich nichts zu sagen. Illies' Buch ist aber nicht Fiktion, oder? Und mir scheint, dass die Schlußfolgerungen andere sind: Dath würde vermutlich nichts gegen angeblich so übermächtige Gutmenschen schreiben, und will sicher keine deutsche Heimat beschreiben. Würde erstmal unterstellen, daß er deutlich schlauer ist als Illies. Nöö, wenn ich mir den Klappentext zu "Ortsgespräch" so anschaue, denke ich, dass der Unterschied durchaus fundamental ist. Die Gedanken der Vergangenheit einer eng umrissenen Gruppe an (fiktiven!) Personen zu behandeln um zu sehen, wie daraus deren Gegenwart geworden ist, um zu erforschen, ob man so leben sollte, scheint mir durchaus etwas anderes, als "Heimat im Wandel" zu beschreiben. Hm. Also wenn ich mir das oben durchlese und den Illies Text, dann sehe ich eigentlich nicht, wie die Frage überhaupt aufkommen kann. Bei dem einen ist der Bezug nachforschend motiviert, in die Zukunft gewandt, auf persönliche Entwicklungen abzielend und wirklich nicht verklärend (habe ich das so dargestellt? Die Jugend aller Figuren ist eher erbärmlich, die Provinz natürlich der Feind), bei dem anderen ist er wohl allgemeingültig gemeint und schlicht reaktionär. Oder ist das nur ein Unterschied in den Schlußfolgerungen und nicht in der Weise des Bezugs? Ähnlichkeit: Vergangenheit, Provinz. Hat das die Frage motiviert? Den HH-Text habe ich jetzt nicht ganz gelesen, aber die machen doch exakt, was sie immer schon gemacht haben, oder? Inwiefern ist das "es geht anders", und nicht auch "nur" ein Millieu- und Geschmackswechsel? ... link
der, 06-09-06 19:22
Wenn ich dem DD-Text etwas vorwerfen wollen würde, dann eher eine als erstrebenswert dargestellte Haltung, die HH-esk ist -- inwieweit sie von den Figuren durchgeführt und vom Autor gedeckt ist, ist dann auch noch eine andere Frage. Illies-Vergleiche jedenfalls hat er nicht verdient: es ist schon ein Unterschied zwischen "wie Heimat dem Selektionsdruck im global village manchmal standhält und ihm manchmal umso hoffnungsloser ausgeliefert ist" und "das Dumme war, daß unser biologisches Erwachsenwerden mit der größten Niederlage der Linken seit ihrem größten historischen Sieg, der französischen Revolution, zusammengefallen ist. Die meisten von uns sind dann Fatalisten geworden oder andere Arten Spießer. Aber einige machen, was die Vernunft in solchen Fällen empfiehlt: Sie zeichnen auf, was wir gewußt haben, als wir noch dachten, mit diesem Wissen könnte man erfolgreich handeln." ... link
hcs, 07-09-06 10:43
Ich musste auf einer Autofahrt mal ein Hörbuch von Iljes anhören. Es war sein erstes Buch, meine ich, er erzählte darin von seiner Jugend, wie er im Bademantel "Wetten dass" geguckt hat und so. Öde. Und nervend dabei die Sentmentalität, die mit Rückblicken auf die eigene Jugend tendenziell einhergeht. Selbst wenn Dinge -- jetzt bin ich schon nicht mehr bei Iljes -- anscheinend kritisch geschildert werden, schwingt mir doch immer ein "früher war es besser" mit. (Früher war es so Scheiße, das war schon gut, das kennt man ja heute gar nicht mehr.) Außerdem finde ich es nicht selbstverständlich, dass man schon in relativ jungen Jahren es für wert hält, Rückschau zu betreiben und sich zu einem Objekt der Geschichtsschreibung zu machen. (Du schreibst selber, dass das des Daths Rückschau anscheinend so fiktiv nicht ist.) Fragt sich da ein FAZ-Schreiber, wie es dazu kommen konnte, dass er FAZ-Schreiber wurde? (Und damit am Ende seiner Entwicklung ist?) Ich lese das von Dir oben angefügte Zitat und denke, Junge, Du kannst bei dieser schlechten Zeitung auch einfach kündigen. Die These, dass das Verfassen dieses Buches eine, wenn nicht die Maßgabe der Vernunft sei, ist großkotzig aber sicher nicht gültig. Kennst Du Franz Jungs "Der Weg nach unten"? ... link
der, 07-09-06 14:20
Naja, das Zitat geht noch weiter. Aber eine gewisse Großkotzigkeit, oder eher sich-wichtig-Nehmerei ist schon dabei. Der Hintergrund, dass der Autor Redakteur bei der FAZ ist und die Figure Redakteur bei "einer großen Zeitung" ist schon amüsant, wird aber auch behandelt. Muss man alles nicht lesen, kann man aber -- wie gesagt, Illjes (ein l mehr, wenn schon) Vergleiche jedenfalls müssen nicht sein. Ist aber übrigens Fiktion, das Ganze. Jedenfalls wenn man nicht annimmt, dass im Freundeskreis von DD häufig Zeitreisen gemacht werden. "Weg nach unten" kenne ich nicht. Gut? Mal anschauen. ... link ... Comment |
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Halb so wild. In dem
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Danke. Ein wenig in der
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by der (04-06-10 12:51)
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