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New York Review (May 9)

Schoene Besprechung zweier Buecher ueber Wissenschaftspolitik, mit einer etwas unmotiviert dranhaengenden Besprechung des neuen Buches von Francis Fukuyama.

Leitfrage der Besprechung der ersten beiden Buecher (Science, Truth and Democracy von Philip Kitcher und Science, Money and Politics von Daniel Greenberg) ist, wie in Zeiten der Hochspezialisierung eine informierte Oeffentlichkeit herstellbar ist, die befaehigt ist, Entscheidungen z.B. ueber Geldvergabe an, aber auch moegliche gesetzliche Einschraenkungen von Forschung zu treffen. Klar, es geht also hauptsaechlich, aber nicht nur, um Genforschung.

Kitcher entwirft ein (idealisiertes) Modell der

``wohlgeordneten (Natur-)Wissenschaft'', nach dem fachlich ausgebildete Vertreter aller Interessensgruppen ueber die relative Bedeutung von Forschungsprojekten entscheiden, also darueber, was gefoerdert werden soll. Wer gefoerdert wird entscheidet sich nach diesem Modell danach, wer im Rahmen der ethischen Grundanforderungen am sparsamsten mit vorhandenen Ressourcen auskommt, sprich wer am billigsten ist. Zuletzt muss noch sichergestellt werden, zum Beispiel durch gesetzliche Rahmenbedingungen, dass die Forschungsergebnisse auch nur so verwendet werden, wie bei der Bewilligung der Projekte geplant.

Aber wie koennen nun Forscher Politiker, und damit die Oeffentlichkeit, ueberzeugen, Steuergelder fuer ihr Projekt auszugeben? Dafuer gibt es nach Ketcher zwei Moeglichkeiten, die allerdings miteinander verbunden sind. Zum einen gibt es das reine Erkenntnisinteresse, mehr ueber die Natur zu erfahren. Hier beisst uns natuerlich wieder das bekannte Problem (siehe unten Nietzsche/Rorty-Diskussion), ob da draussen denn ueberhaupt etwas ist, dass man wissen kann. Kitcher steuert hier eine Kompromissposition an: ``The chemical structure of DNA and its involvement in the manifacture of proteins by the cell are undoubted material facts of nature. But the description of DNA as an all-powerful molecule that has the ability to replicate itself and to create us body and mind is not a description of material knowledge, but an ideological gloss on the facts.'' (Mir scheint dies allerdings kein Kompromiss zu sein, wie naetuerlich auch ein Kompromiss zwischen zwei einander widersprechenden Positionen einfach das Falsum ist. Niemand wird bestreiten, dass kulturabhaengige Metaphern gewaehlt werden, und dass gerade diese politisch wirkmaechtig werden. Solange von der Existenz und Erkennbarkeit einer Wahrheit ausgegangen wird, duerfte ein echter Relativist nicht gluecklich sein.)

Dieses reine Erkenntnisinteresse macht aber die Politiker meist nicht gluecklich genug. ``At the very least, the network of epistemic significances must connect someplace with the price of bread.'' Crick und Watson konnten noch sagen, dass reines Erkenntnisinteresse besteht daran, herauszufinden was diese Aminosaeuren da machen. Fuer das Human Genome Project, das Unsummen verschlang, musste die Heilung der Kranken versprochen werden.

Und hier setzt Lewontins Kritik an. In der Wirklichkeit ist naemlich von diesem idealen Modell nicht viel zu spueren. Es ist einfach so, dass Wissenschaftler ein dem oeffentlichen moeglicherweise gegenlaeufiges Interesse haben, und deshalb keine unparteiischen Richter sein koennen. Die Oeffentlichkeit wiederum kann nicht informiert genug sein, um Detailentscheidungen zu treffen. Was es gibt ist das Peer Review System, aber auch das kann nur innerhalb der gemeinsamen Annahmen einer Disziplin entscheiden, und die Peers einer Disziplin verbindet zumindest ein gemeinsames Interesse an eben dieser Disziplin. Und hier kommt ein interessanter Fakt: ``The proportion of all the ill health and death in the United States that stems from simple genetic disorders that are potentially curable by a `genetic fix' (of which we do not yet have a single successful example) is very small, as compared with what can be done by less damaging workplaces, less pollution, and better nutrition.''

Greenbergs Buch dagegen ist realistischer, aber wohl auch langweiliger. Es beschreibt die Geburt der amerikanischen Forschungspolitik aus dem Geist des kalten Krieges. Nicht so wichtig. Interessant dagegen wieder der recht saftige Verriss Fukuyamas. Letzterer ist jetzt doch nicht mehr der Meinung, dass mit dem `Sieg' der liberalen Demokratie die Geschichte am Ende ist (was zu behaupten auch ein ernsthafter Karrierefehler fuer einen Historiker war, wie Lewontin sueffisant anmerkt), denn dank Genforschung und Psychopharmaka koennten wir die Geschichte der Species selbst vorantreiben. ``Fukuyama, in his vision of a world ruled by cloned genetic aristocrats, continues to perpetuate a vulgar misunderstanding of the heritability of a trait. [...] The heritability of IQ is irrelevant to the question of how easily it can be changed by social and environmental arrangements. Heritability is not a measure of the determinate power of genes.''

Auch das ein wissenswerter Fakt in der Diskussion ueber Gentechnik.

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Nachtrag The New Yorker (April 8)

Rezension der englischen Uebersetzung von Ruediger Safranskis Nietzsche Biographie. Die Autorin bemerkt, diese Biographie sei ``initially striking less for what the author has to say than for what he has chosen to leave out'', naemlich die Wirkungsgeschichte von Nietzsches Gedanken. Dann allerdings behauptet sie, dass Nietzsche immer vehement gegen Anti-Semitismus sich ausgesprochen habe (zumindest nach seiner Wagner-Zeit). Ueberhaupt nimmt sowohl die Autorin der Rezension als wohl auch Safranski Nietzsche gegen viele Interpretationen in Schutz, indem sie die markanten Sprueche auf biographische Details kuerzen. Kann man das so machen?

Ueberhaupt Nietzsche. Hab' ich nie ernsthaft gelesen, zum einen wegen eben dieser Wirkungsgeschichte natuerlich, zum anderen, weil mir die Leute, die Nietzsche lasen und gut fanden, immer sehr unsympathisch waren. Aber so langsam verliere ich meine Vorurteile. Der Anlass dafuer war ein Text von Rorty, den ich kuerzlich gelesen habe. Die These dieses Textes war so ungefaehr, dass wir den Begriff der Wahrheit als etwas sub specie aeternitatis bestehendes fahren lassen sollen. Eine These, gegen die argumentierend ich viele Streitgespraeche mit unangenehmen Postmodernen gefuehrt habe. Aber Rortys These geht weiter, dass wir den Wahrheitsbegriff durch den der Solidaritaet ersetzen sollen. Als Zeugen fuer seine Argumentation nun -- und damit hat er mich gekriegt -- zieht er Philosophen mit lupenreiner analytischer Weste heran, Davidson und Putnam. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das gelten lassen kann, schliesslich beharrt Davidson darauf, dass seine Kohaerenztheorie der Wahrheit zu einer Korrespondenztheorie fuehrt, und letzteres macht nur Sinn, wenn man etwas annimmt, zu dem Aussagen korrespondieren koennen. Aber ich bin neugierig. Um zu Nietzsche zurueckzukommen, den laesst Rorty dann erst spaeter aus der Tasche. Daraufhin habe ich dann doch etwas gelesen (die froehliche Wissenschaft), und bin immerhin unschluessig. Werde weiter darueber nachdenken muessen. Hoffe aber, dass Rorty unrecht hat, und dass die Wahrheit irgendwo da draussen ist.

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Nachtrag: Guardian (April 13)

Aus einem Artikel über Träume:

In the dream I was on a huge industrial lift with open sides, rising up through an enormous warehouse. As it slowly rose, each floor was labelled with a human emotion of quality. We passed "Love" and "Fame", clanked past "Wisdom" and "Wealth", watched as "Peace" and "Happiness" disappeared below. Which floor did I get off? The one labelled "Beer", of course.

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Jetzt werde ich ganz
nostalgisch. War schon irgendwie eine gute Zeit / Sache.
by der (21-05-18 23:56)
Die Kommentare habe ich
schonmal wiedergefunden.
by der (21-05-18 23:55)
DSGVO Hallo.
Gibt's ja noch. Nur die Kommentare sind weg. Und wie bekomme ich das...
by der (21-05-18 23:54)

(Heutzutage würde man sowas wohl twitpicen, aber das besitze ich leider nicht.)
by der (06-12-10 00:35)
Herzlichste Glückwünsche!
by Mama (10-06-10 09:20)
ah, jetzt erst verstanden -
gratuliere! (und falls Sie verhandeln müssen, kann ich ein...
by katatonik (05-06-10 08:08)
Naja, die 9 SWS Lehre
sollten einen schon ganz gut am Ort halten.. Aber...
by der (04-06-10 23:18)
Halb so wild. In dem
Geschäft ist man ohnehin mehr auf Achse als zu...
by micro_robert (04-06-10 15:01)
Danke. Ein wenig in der
Provinz... Eine ost-westfälische Stadt, deren Existenz gelegentlich angezweifelt wird...
by der (04-06-10 12:51)
Oh! Congrats! Wo denn,
wenn man fragen darf?
by micro_robert (04-06-10 12:28)

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